Kleine Kunstwerke

Fotografieren war die Leidenschaft von Heinz Pietsch (1926-1989). Der Tübinger Lehrer und Hobbyfotograf knipste tausende von Bildern, lichtete ab, was ihm vor die Linse kam oder arrangierte künstlerisch und mit einem bestechenden Sinn fürs Detail die Konsumgegenstände seiner Zeit. Pietschs Fotografien dokumentieren die Stadt und deren Veränderungen, die Automobilkultur, die Familie, die Feste und Rituale und den Konsumwahn der Wirtschaftswunderjahre. Kurz gesagt: Heinz Pietsch zeigt uns das Alltagsleben der Zeit von 1950 bis 1989. Seine Fotografien laden die Betrachterin und den Betrachter ein, das Besondere und Kuriose in ihnen zu entdecken – das nachmittägliche Federballspiel, die Tankstelle um die Ecke, das frisch gekaufte Brot.
Pietschs visuelles Lebenswerk ist eine immense Dokumentation des Privaten und ebenso der lokalen und regionalen Zeitgeschichte. Seine Bilder sind kleine Kunstwerke. Sie beeindrucken durch Vielfalt und Einzigartigkeit, versetzen uns in Staunen, lassen uns schmunzeln, ja, sie wecken Erinnerungen an die eigene Kindheit und Biografie.

„Ich in Glaskugel“, 1. Januar 1957. Kreisarchiv Tübingen, Bestand Heinz Pietsch, FPA-H1-622.

‚Das kommt nie, nie wieder!‘

Das digitale Zeitalter hat in der privaten Fotografie zu einer Bilderflut geführt, die kaum mehr zu überschauen ist. Digitale Bilder sind flüchtig und vergänglich zugleich. Flüchtig, weil zumeist en passant aufgenommen – vergänglich, weil kaum jemals nachhaltig abgespeichert wird. Digitale Fotografinnen und Fotografen fotografieren den Alltag, jedes Detail aus jedem erdenklichen Blickwinkel und zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Digitale Bilder – Videos miteingeschlossen – sind in Sekundenschnelle gepostet auf Instagram, Facebook oder Pinterest. Eine gigantische, sich stetig erneuernde visuelle Online-Galerie, die kein Mensch je zur Gänze betrachten kann. Digitale Fotografen brauchen keine Filmdosen und auch keine Systemkameras mehr – Spiegelreflexapparate mit Normalobjektiven, Zoom- oder Makrolinsen. Auch Projektoren, Magazine, Fotokartons und Dia-Schränke sind entbehrlich geworden. Hunderttausend Bilder passen auf eine einzige „Secure Memory Card“ – sprich: SD-Karte. Digitale Fotografen haben ein Smartphone – das universale Tool für moderne Kommunikation und Visualisierung.

Das alles hatte Heinz Pietsch nicht.

„Kameras“, 11. Dezember 1981.
Heinz Pietsch war leidenschaftlicher Sammler optischer Geräte: Polaroid EE 100, Porst autoflex, Petri TTL und Bilora Radix 2a (Radix 56). Kreisarchiv Tübingen, Bestand Heinz Pietsch, FPA-12068.